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Solidarität – die große Idee des Gemeinschaftsgeistes

Solidarität ist schwierig zu bestimmen und als Begriff tendenziell unscharf in seiner Bedeutung. Dennoch wird er häufig verwendet – politisch, sozial, privat und öffentlich, populistisch oder aufklärerisch – und wirkt meist attraktiv und positiv. Gerade in Krisen wird er gerne benutzt, wie eine Art Kleber, der alles zusammenhält. Es wird immer wieder daran appelliert, dass Gesellschaften ohne Solidarität nicht funktionieren. Die Corona-Pandemie, Geflüchtete, Opfer von Naturkatastrophen, Streikende in der Pflege, „Black-Lives-Matters“ Bewegung, "Friday-for-Future", Ausbeutung von Textilarbeiter*innen sind nur einige Stichworte.


Solidarität ist mehr als der Aufruf zusammenzuhalten. Sie verspricht die Möglichkeit und Machbarkeit, die Welt zu verändern und zu verbessern - dem möchte sich wohl niemand entziehen.

Solidarität ist allerdings nicht per se gut. Sie ist eingebunden in einen Wertekontext und hat dort ihre Grenzen, wenn sie benutzt wird, um andere herabzuwürdigen oder zu gefährden, wie beispielsweise in rechtsextremen Gruppierungen oder in Sekten.


Die Idee der Solidarität wurde erst nach der Aufklärung populär, vornehmlich durch französische Soziologen im 19. Jahrhundert. Hintergrund war die zunehmende Arbeitsteilung und Emanzipation. Die bisherigen Gemeinschaften änderten sich grundlegend und wurden zunehmend institutionalisiert. Solidarität wurde in dieser Zeit zu einem politischen Kampfbegriff insbesondere der Arbeiterbewegung. Es wurden Gewerkschaften und Versicherungen als Solidargemeinschaften gegründet, die bis heute in unserem Sozialstaat verankert sind. Sich solidarisch zeigen bedeutete sich zugehörig fühlen und zusammenzuhalten – nach außen und nach innen.

So entwickelte sich das Verständnis der Solidarität weiter. Der Zusammenhalt muss sich mittlerweile nicht mehr nur auf die Gruppe beziehen, der wir angehören, sondern wir können uns auch mit einer Gruppe solidarisch erklären, der wir uns verbunden fühlen, z.B. Geflüchteten oder Terroropfern. Hier entsteht dann eine neue Solidargemeinschaft. Je mehr diese zu unserem eigenen Wohlbefinden beiträgt, desto stärker identifizieren wir uns mit ihr.


Dies ist auch im Zusammenhang mit Corona beobachtbar. Zu Beginn der Pandemie war die Solidarität, z.B. Einschränkungen mit oder Masken zu tragen, sehr hoch. Doch Solidarität ist endlich, gerade weil sie freiwillig ist und vom eigenen Wohlbefinden abhängt. Wir verhalten uns also solidarisch für uns und für alle - doch gleichzeitig ist es mit Belastungen verbunden. Aktuell in der Pandemie sind das z.B. Einkommensverlust, Vereinsamung, Tod von Angehörigen.


Diese Belastungen sind Stress für unserer inneres Gleichgewicht – und das halten wir nur eine bestimmte Zeit aus. Hinzu kommt, dass die Rechte, Vorlieben und Entscheidungsfreiheiten des Individuums zugunsten der Gemeinschaft eingeschränkt werden. Dies ist gleichzeitig auch die Stärke der Solidarität, denn wer sich solidarisch verhält empfindet sich auch als gut, wohltätig oder altruistisch. Oberflächlich gesehen tut das solidarische Verhalten also auch uns als Handelnden gut. Und in der Konsequenz hat dieses Verhalten auch Einfluss auf die Gesellschaft als Ganzes, da dadurch mögliche zukünftige Probleme verringert werden (z.B. Sozialstaat, Integration von Geflüchteten, Reduktion der Corona-Inzidenzwerte).


Neben dieser eher kognitiven Seite ist eine weitere Voraussetzung für solidarisches Verhalten die Empathie, also die Fähigkeit sich in andere Hineinzufühlen. Über diese Fähigkeit verfügen fast alle Menschen. Diese emotionale Motivation ist eine hohe proaktive soziale Überlebensstrategie in der Entwicklung der Menschheit.

Empathie kann dabei als Auslöser für das Bedürfnis anderen zu helfen oder sie zu unterstützen fungieren. Doch Empathie reicht dabei nicht aus, denn Solidarität ist eher ein überdauerndes Konzept. Sie hat viel mit unseren persönlichen Überzeugungen, Werten und unserem eigenen Selbstbild zu tun.

Diese – evtl. nur scheinbaren - rationalen Vorstellungen lassen solidarisches Verhalten entstehen, also konkretes gemeinsames Handeln, um etwas zu verändern. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es ein Handeln füreinander ist und sich damit zur Wohltätigkeit abgegrenzt („Ich tue dir etwas Gutes“). Demnach funktioniert Solidarität nur durch tatsächliches persönliches Tun. Der Wunsch, Wille oder das „nur-darüber-Sprechen“ allein ist nicht ausreichend.


Solidarität heißt gemeinsam mit anderen etwas zu tun, ausgerichtet auf ein gemeinsames Ziel. Ob dies dann als gut bewertet wird, hängt von der ethisch-moralischen Betrachtung des Ziels ab. Es braucht also einen weiteren Kontext, idealerweise einen universellen, wie beispielsweise Gerechtigkeit und Fairness (z.B. die Gleichheit aller Menschen). Ist das Ziel eher partikularistisch, indem es die Interessen nur einer einzigen Gruppe stärkt und evtl. sogar der Allgemeinheit schadet (z.B. Terrorgruppe, Mafia, Sekte), wird das Prinzip der Solidarität missbraucht, indem sie für Zwecke instrumentalisiert wird. Dann ist Solidarität ein Druckmittel, um konformes Verhalten zu bewirken und zu kontrollieren.


In der Idee der Solidarität schwingt auch immer die Botschaft mit, dass sich die aktuellen Gegebenheiten verbessern ließen und gehören im Kern zur modernen Gesellschaft, auch um Fehlentwicklungen (z.B. hohes Maß an Ungewissheit, Individualismus, Ungleichheit, Ausbeutung) zu kompensieren. Solidarität hält hier dagegen, durch das Versprechen auf gegenseitige Unterstützung und den Kampf für das moralisch Richtige.

Und genau darin liegt oft auch die Begrenzung, denn das solidarische Verhalten ist meist nur punktuell und doch wichtig, richtig und notwendig. Denn es ist sicher wichtig, richtig und notwendig sich z.B. mit geflüchteten Menschen solidarisch zu zeigen, doch braucht es auch Solidarität mit den in Afrika Gebliebenen im Sinne einer globalen Gerechtigkeit.


Trotzdem ist Solidarität und der Aufruf dazu sehr gut, weil es uns immer wieder zwingt über Gemeinsamkeiten und Gerechtigkeit zu reflektieren und uns zu positionieren. Denn letztlich sitzen wir ja alle gemeinsam in einem Boot und im Hinblick auf Solidarität ist es eher die Frage wie groß wir das Boot denken: regional, national, kontinental oder global…

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