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Verschwörungstheorien - Warum glauben manche Menschen an geheime Koalitionen?

Aktualisiert: 1. Dez. 2020

Verschwörungstheorien gab es seit jeher in allen Kulturen, derzeit haben sie jedoch Hochkonjunktur, insbesondere im Internet und den sozialen Netzwerken, dem neuen „Supermarkt der Ideen“.

Laut einer Anfang Januar 2018 in Frankreich durchgeführten Umfrage glauben 79 Prozent der Französinnen und Franzosen an mindestens eine Verschwörungstheorie, wobei unter Verschwörungstheorie eine naive Erklärung eines gesellschaftlich bedeutenden Ereignisses wie der Tod eines Promis, eine Klimakatastrophe, ein Terroranschlag oder Flugzeugabsturz verstanden wird, welche die offizielle Version infrage stellt und eine Intervention einer im Verborgenen agierenden Gruppe annimmt.

In der Psychologie ist das Interesse an diesem Thema in den vergangenen zehn Jahren stark gewachsen. Wegen des irrationalen Charakters und der möglichen negativen Folgen von Verschwörungstheorien ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen. Denn eine Reihe dieser Überzeugungen hat das Potenzial, gesundheitlichen Schaden anzurichten. Andere, nämlich jene, die für politische Zwecke – sowohl links- als auch rechtspopulistisch - eingesetzt werden, fördern Aggressionen, Rassismus und Diskriminierung.

Aus Sicht der Psychologie entspringt der Glaube daran universalen psychologischen Mustern, die sich im Verlauf der Evolution entwickelt haben. Diese tragen wir alle in uns, aber nicht jeder neigt in gleichem Maß dazu, sie auch zu nutzen. Als Erstes ist die Neigung zu nennen, sich die Welt zu erklären und dafür Muster und Zusammenhänge zu suchen. Weil das mitunter ein schwieriges Unterfangen ist, kann es passieren, dass wir Zusammenhänge sehen, wo in Wirklichkeit keine sind. Menschen, die an Verschwörungsvorstellungen glauben, halten oft unbewiesene Erklärungen für plausibel.

Damit hängt ein weiteres Muster eng zusammen: die Suche nach verborgenen Motiven anderer Menschen. Ein ausgeprägtes Bedürfnis danach hat dabei zur Folge, dass Zufälle nicht als Erklärung akzeptiert werden können und stattdessen Unterstellungen konstruiert werden:

  • eine „übernatürliche Macht“, die für die Entstehung der Menschheit verantwortlich sei

  • die Nasa habe die Mondlandung nur inszeniert,

  • die CIA stecke hinter den Anschlägen vom 11. September,

  • die Pharmaindustrie verweigere wirksame Therapien gegen Krebs, um am Siechtum der Patient:innen zu verdienen,

  • Angela Merkel sei ein Reptilienwesen,

  • Eliten unterziehe Bevölkerung einer Gehirnwäsche

hinter allem stecken Illuminaten, Juden, Muslime, Banker oder irgendeine mit anderen Figuren besetzte Gruppe finsterer Kräfte.

Diese beiden Mechanismen allein machen noch keine vollständige Verschwörungstheorie aus. Solche Vorstellungen haben auch eine soziale Dimension und handeln von Gruppenkonflikten: Nicht näher benannte feindliche Bündnisse werden darin beschrieben, die beispielsweise Regierungen, politische Parteien oder Unternehmen heimlich miteinander eingegangen seien. Es existieren auch Theorien, bei denen Minderheiten – angeblich mächtige Bündnisse – als Verschwörer gelten. Genau beschrieben werden sie oft aber nicht, nur angedeutet. Auch hier gibt es einen evolutionären Hintergrund: In der frühen Menschheitsgeschichte konnte es überlebenswichtig sein zu wissen, ob sich Feinde gegen die eigene Gruppe zusammengeschlossen hatten.

Die Forschung zeigt allerdings auch, dass bestimmte Personengruppen diesen im „postfaktischen Zeitalter“ der „Fake News“ im Trend liegenden Ideen eher anhängen als andere. Wer sich ungerecht behandelt fühlt, vermutet mit besonderer Leichtigkeit finstere Machenschaften am Werk. Offenbar reicht für viele schon das Gefühl, nicht als volles Mitglied der Mehrheitsgesellschaft anerkannt zu werden, um empfänglich für Verschwörungsdenken zu sein und das unabhängig vom sozialen Status und selbst, wenn sie die Inhalte der Verschwörungstheorien für selbst gar nicht betreffen.

Damit Menschen an Verschwörungstheorien glauben, müssen zu den evolutionären Mustern spezielle Persönlichkeitsmerkmale hinzukommen. Hierbei handelt es sich um Eigenschaften, die unter dem Begriff „Schizotypie“ subsummiert werden: starkes Misstrauen und soziale Angst sowie die Neigung zu verzerrtem Wahrnehmen. Auch glauben die Anhänger:innen häufig, die Welt sei prinzipiell sehr gefährlich und oft schätzen sie sinnlose Sachverhalte wegen ihrer Neigung zu verzerrtem Denken als bedeutsam ein. Denn diese werden oft von einem Gefühl des Kontrollverlustes geplagt. Wenn es nicht läuft, die Umstände vermeintlich jenseits des eigenen Einflusses liegen, spendet die Vorstellung finsterer Mächte natürlich Trost: Man hat es selbst nicht in der Hand, was willst du machen, wenn "das System" gegen einen arbeitet?

In der gegenwärtigen Lage klingen all diese Forschungsergebnisse wie schlechte Nachrichten: Derzeit zersplittern viele westliche Gesellschaften in zahllose kleine Identitätsräume. Und deren Angehörige stehen, so scheint es in den öffentlichen Debatten zumindest zu sein, in einer Art Wettbewerb, wer Opfer der übleren Diskriminierung und Ausgrenzung ist. In diesem Klima können Verschwörungstheorien blühen - und am Ende leben alle in ihrer eigenen Realität. Verschwörungstheoretiker:innen genießen den Ruf, hartnäckig an ihren Überzeugungen festzuhalten. Auch weil Personen, die einer Verschwörungstheorie anhängen, auch dazu neigen, anderen Verschwörungstheorien Glauben zu schenken. Denn diese zielen nicht auf Wahrheitssuche ab, sondern erfüllen in erster Linie eine psychologische und soziale Funktion: Sie dienen der Sinnsuche oder dem Kontrollstreben in einer als chaotisch empfundenen Welt.

Dennoch gibt es Anlass zu Hoffnung, denn die Forschungsergebnisse zeigen auch, dass Teilnehmer:innen psychologischer Experimente, die zu rationalem Denken angeregt wurden, sich von einer solchen Vorstellung abbringen ließen. Es lohnt sich also sich also sich mit diesen Menschen auseinanderzusetzen.

Quellen:

Douglas, K. M., Sutton, R. M., & Cichocka, A. (2017). The Psychology of Conspiracy Theories. Current Directions in Psychological Science, 26(6), 538–542.

Joshua Hart & Molly Graether: Something's going on here: Psychological predictors of belief in conspiracy theories. Journal of Individual Differences, 2018. DOI: 10.1027/1614-0001/a000268

Jan-Willem van Prooijen & Karen M. Douglas: Belief in conspiracy theories: Basic principles of an emerging research domain. European Journal of Social Psychology, 48/7, 2018. DOI: 10.1002/ejsp.2530

Jan-Willem van Prooijen & Mark van Vugt: Conspiracy theories: Evolved functions and psychological mechanisms. Perspectives on Psychological Science, 13/6, 2018. DOI: 10.1177/1745691618774270

Wagner-Egger, P., & Bangerter, A. (2007). La vérité est ailleurs: corrélats de l‘adhésion aux théories du complot [The truth lies elsewhere: Correlates of belief in conspiracy theories]. Revue Internationale de Psychologie Sociale, 20, 31–61.

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